National Gallery
Regie: Frederick Wiseman
Der US-Amerikaner Frederick Wiseman, der am 1. Januar 85 Jahre alt wurde, ist eine lebende Legende des internationalen Dokumentarfilms. Seit 60 Jahren realisiert er Filme, die dem Geist des Direct Cinema folgen: Es gibt keine Interviews, keine Musik, keine Kommentare, sondern «nur» genaue Beobachtungen, Aufmerksamkeit für kleine Details, ein offener Blick und ein Interesse für die Subtexte der vielen Institutionen, die er im Laufe der Jahre beschrieb. Das gilt auch für seinen jüngsten Film «National Gallery», der sich während fast drei äusserst kurzweiliger Filmstunden in der gleichnamigen Institution in London bewegt. Zwar stehen die Gemälde der Kunstsammlung, die eine der bedeutendsten der Welt ist, im Mittelpunkt – Gemälde von Rembrandt, Turner, van Eyck, Tizian, Lorrain und vielen anderen –, doch immer wieder kommt Wiseman auf die Geschichte der typisch britischen öffentlichen Einrichtung zu sprechen. Dass ein Grossteil der Sammlung mit Gewinnen aus der Sklaverei finanziert wurde, erfährt man nebenbei, passenderweise von einer Museumsführerin, die eine Gruppe von Schulkindern mit Migrationshintergrund durch das Haus führt. An anderer Stelle beschreibt ein Kurator die Herkunft eines Werks aus dem 17. Jahrhundert, das bei einer Versteigerung nach der Französischen Revolution in britischen Besitz überging. Diese und viele andere Geschichten erzählt Wiseman, blickt hinter die Kulissen des Museums und zeigt, dass jedes Bild eine Geschichte erzählt. Eine, die über die blosse Oberfläche eines Gemäldes hinausgeht, die umso vielschichtiger wird, je mehr man über die dargestellten Personen weiss, über die Mythologie, auf die Bezug genommen wird, aber auch über die sozialen und politischen Umstände der Zeit, in der das Gemälde entstand. «Eine der schönsten Begegnungen zwischen Malerei und Film, Alten Meistern und Gegenwart, eine Liebeserklärung an das Erzählen in Bildern.» Maren Keller, spiegel.de